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Ecuador

ecuador

Im Norden von Peru haben wir nach einigen schönen Strandetappen und Sprüngen ins Wasser dem Pazifik Adios gesagt. Es fehlten nur noch weniger Kilometer bis zur Grenze. Der Grenzübertritt nach Ecuador verläuft, wie die meisten Grenzübertritte, langwierig aber reibungslos. Da wir unser Visum vier Tage überschritten hatten, müssen wir eine Strafgebühr bezahlen. In einem Land in dem alle einzelnen Arbeitsschritte auf möglichst viele Personen aufgeteilt werden, bedeutet dies Warten. Warten bis die dafür zuständige Person Zeit hat, unsere Einzahlung entgegen zu nehmen. Kaum über der Grenze, liegt das Reserva Ecologica Arenills, welches eine willkommene Campingmöglichkeit bietet. Die 4km zur Rangerstation sind ein Genuss von Ruhe und Vogelgezwitscher. Auch Eichhörnchen-ähnliche Flauschi's und andere skurrile Tiere lassen sich blicken. Angekommen, trauen wir unseren Augen nicht. Da steht Braian. Einer der vier Jungs welche wir am Lago del Desierto, Argentinien an der Fährstation antrafen, zusammen in der Kirche kochten und im Wald zelteten. Das war vor fast 11 Monaten. Inzwischen ist er mit zwei anderen Argentiniern unterwegs mit welchen er das geliebte Mate-Ritual zelebrieren kann.

 

 

Am Tag darauf werden wir in der ersten Stadt am Mercado Central mit Früchten beschenkt, vor der Bäckerei zu Leckereien eingeladen. - Woow. Die Leute in Ecuador wirken interessiert, weltoffen und haben irgendwie einen weicheren Gesichtsausdruck als die Peruaner. Sie mögen ein hübsches Zuhause mit Blumen vor dem Haus und ohne Müll auf der Strasse. Die nächsten Kilometer folgen wir dem Asphalt und pedalieren an dichten Bananenplantagen vorbei. Uns überholen Pick-Up's mit noch zu faltenden Schachteln geladen. Chiquita, Bonita – Alles war dabei.  

Schon am zweiten Tag biegen wir ab, zurück in die Berge. Es gilt von Meereshöhe einen Pass von 4000MüM zu bezwingen. Im ersten Dorf geniessen wir erneut Gastfreundschaft und werden zum Abendessen eingeladen. Die Kinder schruppen für uns extra einen Platz unter einem Dach frei um im Trockenen schlafen zu können. Am zweiten Tag schaffen wir unseren Rekord auf Schotterstrasse mit 2298 Meter Tagesanstieg. Der Weg ist anfangs gesäumt von Wiesen und Bäumen, später mit dichtverwachsenem Grün und farbigen Tropenblumen. Und der Weg ist steil, sehr steil! Bei vielen Passagen sind wir gezwungen zu schieben. So lange, dass Mele am Abend die Nutzung an Händen und Schulter spürt. Anfangs noch mit klarem Himmel, pedalieren wir lange Zeit im Nebel ohne jede Sicht. Durchnässt finden wir ein Dach neben einem unbewohnten Haus. Am ende des Passes wird die Strasse flacher, dafür gibt der Wind sein Bestes, was uns nicht schneller macht. Es ist beeindruckend zu sehen, wie die Flora sich verändert und uns auf der Passhöhe weite Grassteppe in Empfang nimmt. Vor der Abfahrt befüllt Flavio in windiger Kälte nochmals seine öl-leckende Magurabremse um heil im Tal anzukommen. Die Einfahrt in die Stadt hat etwas hypnotisches. Kein Hundebellen, kein Gehupe, keine Mörderautofahrer.

 

In Cuenca lassen wir es uns drei Tage lang gut gehen, bevor es weiter auf der ecuadorianischen Bikepacking-Route geht. Flavio's Fahrrad mit einer neuen sieben Dollar V-Brake (Felgenbremse) ausgestattet, sodass weiteren vielen tausend Höhenmeter nichts im Wege steht. Wir sind darauf gefasst, dass die Berge nicht mehr ganz so hoch sind, jedoch steiler als alles andere zuvor.
Immer wieder erinnert uns die Umgebung ein wenig an die Schweiz. Die Zersiedelung der Landschaft ist für unser Geschmack sehr stark. Kaum ein flecken Erde der nicht mit Landwirtschaft oder einem Haus verbaut ist. Natürliche Wälder oder naturbelassene Abschnitte suchen wir fast vergebens. Auch die Hunde, von denen wir glaubten, dass sie nicht mehr ganz so aggressiv seien wie die peruanischen, zeigen schon bald ihr wahres Wesen. Dafür zeigen sich die Bomberos freundlich, wie kurz vor Cajabamba wo wir ein Dach kriegen, sogar Wifi und die Küche nutzen dürfen.

Wir freuen uns auf die nächsten Etappen welche zum Fusse des Vulkanes Chimborazo führen. Touristen können per Bus zum Basecamp auf 4800müM. um dann mit dem Mietbike runter zu scheppern. Wir müssen die Höhenmeter im Nebel selber hoch strampeln.
Auf halber Strecke kurz vor dem Parkeingang sehen wir auf dem Felde einen verlassenen Stall der nur noch von wild umherfliegenden Kolibris als Brutstätte genutzt wird. Dieser bietet sich uns als Sichtschutz zum übernachten. Wir staunen, als 30min. später noch Daniel eintrift. Dieser entschloss sich, eine Wanderung im Gebiet zu machen und dachte von weit oben, der Stall sei ein Hotel. So weit so gut. Wäre seine Ausrüstung nur ein klein wenig hochwertiger gewesen. Mit einem Zelt, das bei uns Kinder im Wohnzimmer aufstellen würden, möchte er auf über 4000MüM im Freien zelten. Mele überzeugt ihn, im Stall zu schlafen. So ist er immerhin gegen den Wind und später eintretenden Regen halbwegs geschützt. Gegen die Kälte muss er ausharren. Die ganze Nacht. Wir haben genügend Wasserreserven und teilen unsere Suppe zum Abendessen und Kaffee mit Brötchen morgens.

 

Über kleinste Lehm -und Erdwege fahren wir weiter auf der Route des Transecuador. Regelmässig stellen wir fest, dass unsere Navi-Apps keine Strassen oder Pfade eingezeichnet haben. Der Nebel der die Sicht auf umliegende Berge und Täler verdeckt, verstärkt das Gefühl der Verlorenheit noch. Der Regen ist so stark oder der Nebel so dicht, dass die Kleidung unangenehm feucht ist. Regenkleider an, Regenkleider ab. Ein Wechselspiel welches kein Ende nimmt und immer Zeit kostet. Die endlosen Auf's und Ab's gepaart mit dem schlechten Wetter hinterlassen einmal mehr Spuren bei unserer Motivation. Dazu kommt noch Flavio's Magenbeschwerden. Einmal mehr ist Velofahren mit Erbrechen und Durchfall im Angebot. Als wären die Tracks nicht schon anstrengend genug. Die Bremsbeläge von Flavio's neuer Bremse sind nach schon einer Woche verbraucht. Wieviel darf man denn von einer 7 Dollar Bremse erwarten? Flavio hat im Kopf mal wieder seine Bastelkiste ausgepackt und klebt kurzerhand mit Sekundenkleber die Magurabremsbeläge an die Halterung der günstigen V-Brake. Die „Z.stagura“ ist geboren. Und es funktioniert einwandfrei!

Im Dorf Zumbahua machen wir einen Tag Pause um ein weiteres Highlight von Ecuador zu bestaunen. Die Lagune Quilotoa. Zum Glück weckten uns die ersten Sonnenstrahlen und wir beschliessen so schnell wie möglich zur Lagune zu gelangen. Die Morgensonne über der Lagune ist einmalig. Kein Wunder, ist ein solch magischer Ort ein beliebtes Touristenziel. Das schnelle Aufstehen hat sich gelohnt. Kurz vor Mittag kommen bereits die ersten Regenschwaden über die Berge und der alltägliche Regen meldet sich an. Nach den letzten Strapazen entscheiden wir uns weg von der Transecuador, dafür mit Asphalt, zurück ins Haupttal Richtung Cotopaxi zu gelangen. Eine Tortur! - Die Eier vom Markt zeigen bei Flavio volle Wirkung und entschleunigen unsere Reisegeschwindigkeit. Nicht schon wieder. Mehr als 20km sind nicht zu machen.

 

Bis zum Eingang des Nationalparks Cotopaxi ist Flavio's Magen zum Glück wieder im Lot. Beim Parkeingang geniessen wir die Freiheit eines jeden Radfahrers und campieren direkt neben der Rangerstation. Mele springt am Morgen direkt aus dem Zelt um den Vulkand Cotopaxi in ganzer Pracht und ohne Nebelgewand zu fotografieren. Bereits während den ersten Kilometern bergauf, kommt der Nebel auf und verdeckte für die vielen Touristen in den Bussen die Sicht auf den Gipfel. Das Tal des Nationalparks erinnert wieder an die einsamen Hochebenen und wir geniessen die Weite und die Schotterstrasse. Die Abfahrt Richtung Quito ist eine alte Setzsteinstrasse. Das Fahrgefühl erinnert eher an ein Bachbett als an eine Strasse. Zum Glück geht es bergabwärts, denkt sich vor allem Mele.

Da die Hauptstadt Ecuadors, gleich wie das ganze Land, eingebettet ist in Hügeln, heisst es zuerst mit all den schwarzrussenden Bussen in das Stadtzentrum hochzutrampeln. Katalysatoren scheinen diese alten Blechdinger nicht zu besitzen. Die Lunge brennt nicht nur einmal. Im Stadtzentrum suchen wir Wifi um uns um eine Unterkunft zu kümmern. Wie gerufen, treffen wir ein französiches Paar, welches mit 3 Kindern von Mexiko auf dem Weg nach Chile ist. Auch per Fahrrad. Sie vermitteln uns einen Warmshowerkontakt, bei welchem wir einige Stunden später in der Stube sitzen. Wir fühlen uns eine Woche wie zu Hause bei den zwei französischen Jungs welche selbst bei ihrer Fahrradreise in Quito hängengeblieben sind und nun dort leben.

 

Im Wissen, dass wir noch nicht wissen, wie oder wohin unsere Reise weitergehen wird, hat Flavio spontan bei der Botschaft einen neuen Reisepass beantragt. Diesen werden wir dann in Kolumbien abholen können. Quito überzeugt uns aus touristischer Sicht nicht. Die Altstadt bietet ein paar schöne Gebäude im spanischen Stil und die eine oder andere herausgeputzte Kirche. Nach Cuenca hatten wir jedoch mit mehr gerechnet. Als wir ganz spontan an einem Tattoo-Shop vorbeischlendern, schauen wir uns grinsend an und überlegen: Jetzt oder nie. Also jetzt. Nochmals kurz über das Motiv gefaselt, lassen wir uns von den Jungs im Shop empfangen. Sie überzeugen mehr mit Sympathie als mit Tattoo-Kunst. Für unsere leichten Sujets sollte es reichen! Flavio erinnerte sich an seine ersten Tattoo-Sessions in der Schweiz. Da musste zuerst unterschrieben werden, dass man nicht unter Drogen oder Alkohol steht. In unserem Shop wird gleich mal ein Bier serviert. Herrlich.

Nach einer Woche ruft die Strasse wieder. Bei blauen Himmel und Sonnenschein verlassen wir die Stadt mit Blick auf drei vergletscherte Vulkane. Was für ein Ausblick, was für ein Glück. Bereits am ersten Tag verpassen wir knapp ein weiteres Highlight: Die Passierung des Äquators. Wir realisieren dies bei 0 Grad, 0 Minuten, 19 Sekunden, können aber zurück ins Tal blicken. Und so müssen wir feststellen, dass die Erde keinen Gürtel trägt. Auch keine Schlaufe. Nach über 16 Monaten befinden wir uns nun wieder auf der nördlichen Hemisphäre. Die letzten Tage von Ecuador sind einmal mehr atem(be)raubend in jeder Hinsicht und was uns besonders gefällt - menschenleer. Ein Schlafplatz ganz alleine vor einer Lagune und Bergen, am Morgen zum Frühstück Besuch von Hasen und bunten Vögeln...einfach herrlich. Etwas weniger faszinierend sind die folgenden 1500hm Downhlill auf nervigen, holpernden Steinstrassen. Die Taschen müssen immer wieder eingehängt, die Unterarme gelockert und die Waden entspannt werden. Setzsteinstrassen ohne Ende.

 

In Otavalo rollen wir langsam hinter einem Trauerzug ins Zentrum. Eine Stadt mit eigenem Kleiderstil. Fast alle Männer tragen lange, offene oder dickzöpfige Haare. Auf dem Kopf einen Hut, weisse Hose und weisse Sandalen. Die Frauen tragen eine weisse Bluse und einen bodenlangen Rock welcher mit Bändern an der Taille befestigt wird. Schon mehr als einmal sind wir in Dörfer oder Städte gekommen, welche einen eigenen traditionellen Kleiderstil haben. Zwei Dörfer weiter ist davon schon wieder nichts zu sehen. Leider haben wir es verpasst, Fotos zu machen.  

Auf den letzten Metern der Transecuador pausieren wir in El Angel nochmals bei den Bomberos. Die erste und einzige 5min durchgehend warme Dusche in Ecuador (Gracias!), eine Küche, sowie Wifi. Und das für ein Danke. Unglaublich. Von El Angel gilt es den letzten Pass in Ecuador zu erklimmen. Natürlich wieder in Setzsteinstrassen-Qualität vom Feinsten. Mele muss einmal kurz Luftablassen und schreit ihren Frust in die Weite. Flavio hingegen kann die Strasse sehr geniessen. Auf der Abfahrt müssen wir einem Pärchen noch kurz helfen, ihren festgefahren Pickup herauszuhieven. Das einzige Fahrzeug, welches uns auf der gesamten Strecke begegnet. Für uns unverständlich, wie man einfach so in die Pampa fahren kann ohne zu wissen ob es ein Durchkommen gibt. Die Strasse erinnerte eher an ein Biketrail. Ausgewaschen, immer wieder Schlammlöcher und grosse Absätze. Unsere Velos werden keine Minute geschont. Umzingelt von einem Meer von Frailejones welche aussehen wie Palmen mit Kakteen obendrauf, sind wir überwältigt von der Weite und der Stille.

 

Um die Mittagszeit erreichen wir Tulcan und dessen Grenzübertritt. Es ist der bisher Meistfrequentierte und es gibt viele Strassenverkäufer, Geldwechsler und wartende venezolanische Flüchtlinge. Verschiedene Hilfsinterventionen stehen bereit wie Trinkwasser, Zelte oder Gesundheitsinformationen. Nach etwas mehr als einer Stunde haben wir beide den kolumbianischen Einreisestempel mit 90 Tagen im (provisorischen) Pass. Noch kurz hoch in die erste Stadt um kolumbianische Pesos zu beziehen und ab rauschen wir 1500hm in die Tiefe. Hallo Kolumbien...