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Grünes Kolumbien

Seit Beginn unserer Reise haben uns entgegenkommende Radreisende immerwieder von Kolmbien geschwärmt. Auf kein anderes Land waren wir so gespannt wie auf dieses, welches unser letztes auf dem südamerikanischen Kontinent sein würde. Die ersten Kilometer nach der Landesgrenze wollen wir, auf Grund der vielen Warnungen vor Überfällen, auf der Hauptstrasse zurücklegen. Zu unserem Bedauern wird genau auf dieser Strecke eine Autobahn erstellt. Eine Autobahn durch die Anden um genauer zu sein. Schwer beeindruckt von den imposanten Brückenkonstruktionen (in Bolivien, Peru und Ecuador gab es dies nie zu sehen), dürfen wir die teils einspurigen, staubigen Bauabschnitte mit Trucks, Autos und unzähligen Motorrädern teilen. Abgesehen von den Abgasen welche in unseren Lungen brennen und den lärmbetörenden Motoren der völlig überlasteten, alten Fahrzeugen, ist die Situation auszuhalten.

 

 

Bei unserer ersten Nacht im neuen Land, suchen wir eine Weile nach einer geeigneten Stelle um unser Zelt aufzustellen. Auf Grund der Baustellen im ganzen Tal scheint das Dorf von Leuten überflutet zu sein. Trotz dem Hinweis der Polizei, sicher beim Fussballplatz zelten zu können, fühlen wir uns zu exponiert. Irgendwie scheint unser Bauchgefühl was mitteilen zu wollen. So beschliessen wir, ein Zimmer zu nehmen. Wir können einfach unser Portmonee öffnen und bezahlen. Die Flüchtlinge draussen vor der Tür können das nicht. Und die haben Kinder dabei. Mele vergisst die Blicke nicht mehr, welche ihr in der Tür hinterher schauten. Ein beschissenes Gefühl. Soll ich rausgehen und denen ein Zimmer bezahlen? Soll ich ihnen Geld geben? Aber wieviel? Und welche Familie hat es mehr verdient als die Andere? Es sind so viele. - Ich war zu feige und zu berührungsängstlich, also zog die typisch menschliche Strategie: Vorhang ziehen, ausblenden und warten bis das Gefühl vorübergeht.


Tagsdarauf pedalieren wir rund 1700 Höhenmeter entlang der Baustelle den Berg hinauf. Als wir den Bauarbeitern bei den Teerungsarbeiten der Gegenfahrbahn zusehen, kommt der Polier auf uns zu. Er beschenkt uns mit Trinkwasserbeuteln und erzählt uns, dass er Chilene sei. Er würde hier sechs Monate arbeiten um dann zwei Wochen nach hause zu seiner Familie zu gehen. Das Geld benötigen sie, um den Kindern die Schule zu bezahlen.

 

Nach der Passhöhe können wir die letzte Baustelle hinter uns lassen und biegen auch gleich vor der Grossstadt Pasto ab. Nach zwei Tagen in Dauerverkehr sind wir froh wieder Vogelgezwischer zu hören. Gegen Abend beschliessen wir, das erste Mal zu zelten. Unsere Anfangsnervosität legt sich, als wir den jungen Landbesitzer fragen können, ob es denn auch ok sei und wir ihn nicht stören würden. Jetzt hoffen wir nur, dass keine Kuh über unser Zelt storchelt.
Wärend wir unseren Kaffee am morgen geniessen, winken uns unzählige Strassenrennradfahrer zu. Der Nationalsport Nummer eins.

 

Die Strassenschilder warnen die Verkehrsteilnehmer vor Nasenbären, Ameisenbären, Schlangen und Leguanen. Bei jeder Gelegenheit suchen wir die vorbeiziehnden Bäume und Sträucher ab. Leider ohne Erfolg. Einzig ein Skelett einer rund drei Meter langen Schlange verrät, dass hier das eine oder andere, für uns unbekannte Tier lebt.
Nach vier Tagen nähern wir uns dem Teufelstrampolin. "Trampolin del Diablo". Monate zuvor schwärmte ein entgegenkommender Radfahrer von diesem Abschnitt. Die Ähnlichkeit mit der weltberühmten Death-Road in Bolivien ist nicht von der Hand zu weisen. Einzig zwei Unterschiede stellen wir fest. Das Trampolin ist nicht nur Up-/ bzw. Downhill sondern ein einziges Auf und Ab. Trampolin eben. Und die Strasse ist eine offizielle Hauptstrasse mit viel Verkehr. Trotz der starken Frequentierung, befindet sich der zirka 80 Kilometer lange Abschnitt in haaresträubendem Zustand mit teils kopfgrossen Steinen oder Bachgängen welche die Strasse wegspülen. Bei der letzten Abfahrt lässt uns der Teufel auch gleich teilhaben an seinem Spiel. Als wir bei entgegenkommenden Lastern bremsen, rutscht uns beiden einmal das Rad wortwörtlich under dem Ar... weg. Wir haben Glück und bleiben vor Schäden und Schmerzen verschont. Nicht so ein Reisender Franzose. Seine Tourenmaschine ist zu schwer um zu halten. Alle seine Koffer liegen am Boden. Zum Glück trägt er, im Gegensatz zu all den Einheimischen, eine dicke Lederjacke.

 

In Mocoa müssen wir das erste Mal eine längere Pause machen. Das Land wird blockiert von Guerillas. Wir folgen den Ratschlägen der Einheimischen und bleiben drei Tage in einem Camping. Etwas mulmig ist Flavio zu Mute bei der Weiterfahrt. So kreuzen wir immer wieder Strassenkontrollposten mit bis an die Zähne bewaffneten Polizisten oder staatliches Militär.
Als uns Tagsdarauf eine Gruppe Radreisende entgegenkommt, sind wir von den Erzählungen erleichtert. So schlimm kann es nicht sein, was auf uns zukommt. Wie so oft wenn sich Langzeitradler kreuzen, gibt es einen kleinen Schwatz und Erlebtes wird erzählt, Routen getauscht sowie mögliche Übernachtungsmöglichkeiten und vieles mehr. Fast täglich kommen uns zu Fuss auch junge Familien und Gruppen von Männern entgegen. Sie alle tragen ihr Hab und Gut mit sich. Das Allernötigste haben sie in Taschen oder alten Kinderwagen untergebracht. Es sind weitere Flüchtlinge aus dem Nachbarland Venezuela. Genau die Venezulaner, von denen wir die letzten Monate immer wieder gewarnt wurden. Sie feuern uns an, zeigen uns den Daumen und schenken trotz ihrer Lebenslage die schönsten Lächeln! Wir fragen uns, weshalb wir die ersten Tage so Berührungsängste hatten.

 

 

 

Die Tage in Kolumbien vergehen wie im Fluge. Wir treten kräftig in die Pedale und wollen Kilometer machen. Jedoch fragen wir uns immer öfters nach einem Tag im Sattel, kauernd vor unserem Kocher, was denn alle so toll an Kolumbien fänden? Die Leute, mit ihrer Offenheit, ihrer sympathischen Ausstrahlung und Freundlichkeit gefallen uns sehr. Die Landschaft jedoch vermag es nicht uns aus den Socken zu hauen. Sind wir bereits zu lange unterwegs, zu abgebrüht, sodass uns nichts mehr beeindruckt? Auch macht uns die Hitze und die unglaubliche Schwüle in den tieferen Regionen zu schaffen. Der Fahrtwind, welcher uns tagsüber immer ein wenig abküllt fällt Abends aus. Die Temperaturen sinken nur minimal und der Schweiss rinnt nur so über die Haut.
Verschwitzt ins Zelt, verschwitzt wieder aufstehen. Die Haut, überdeckt mit tagealter Sonnencreme und Insektenschutzmittel, ähnelt einer alten Tapette welche bei jedem Mieterwechsel neu mit Farbe überstrichen wird.
Und was fanden alle so toll hier?
Wir beschliessen, so oft es geht, in die höheren Lagen zu fahren. So kreuzen wir die Cordilleras (Bergketten) so oft, dass die Leute nicht mehr glauben recht zu hören, wenn sie uns nach unserer Route fragen. Da sich die grösseren Tiere nur Nachts zeigen, staunen wir umso mehr über die Farbenpracht der tropischen Vogelarten. Einer der Vorzüge, wenn man mit dem Fahrrad reist. Die unzähligen Pfiffe der Vögel versetzt uns immer wieder in Gelächter.
Nach dem wir von Salento, einem Must-See Touristendorf enttäuscht sind, besuchen wir eine Kaffeefarm. Kaum zu glauben was für unzählige Schritte von Handarbeit hinter der schwarzen Bohne stecken. Den Kaffee trinken wir nun immernoch in grossen Mengen aber vielleicht ein wenig ehrfürchtiger und dankbarer.
Da wir nicht zu früh in Medellin sein wollen (Wir wollten ursprünglich eine Kollegin von Mele treffen...), machen wir einen grossen Bogen über den Nevado del Ruiz. Ganz zum entsetzten der lokalen Radfahrer, geniessen wir den Aufstieg. Besonders weil wir uns im klaren sind, dass es möglicherweise das letzte Mal über 4000 Meter über Meer geht. Abwechslungshalber trifft die Magenverstimmung diesmal Mele. Die Energie fehlt Ihr und wir stellen unser Camp schon mittags auf. Am nächsten Morgen werden wir belohnt und bekommen den Vulkan in Morgensonne präsentiert. Ein weiteres Geschenk kommt zum Nachschlag. Wir vernichten in einer Abfahrt über 4000 Höhenmeter. Haben wir am Morgen noch zwei Jacken und Handschuhe an, so schwitzen wir am Nachmittag in tropischer Hitze.
Zwei Tage fahren wir im Tal und schwitzen Tag und Nacht. Unsere Beine würden gerne weider einen Pausentag einlegen doch wir sind uns einig; diesen werden wir nicht in dieser Höhenlage machen. So fahren wir die alte Verbindungssrasse Bogota – Medellin. Die Strasse ist ruppig und ein einziges Auf und Ab. Wir merken langsam, dass wir auf dem Zahnfleisch fahren. Zulange waren die Tage ohne Pause. Als Mele morgens eine Flasche mit frisch gefiltertem Wasser umstösst, sind die Nerven für einen Moment blank. Alles braucht Energie. Nichts wird geschenkt.

 

 

 

Wir beschliessen spontan, in einem authentischen Dorf, ohne andere Touristen, nur mit bestem Salsa aus alten Lautsprechern, zu pausieren.
Ein Zimmer ohne Fenster, dafür mit Ventilator. Welch Luxus.
Die restlichen 250 Kilometer richtung Medellin fahren sich einfacher. Das Ziel rückt näher und wir freuen uns auf unser erstes Casa de Ciclista in Kolumbien.
Wir fahren nochmals knapp eine Woche bis wir über Erd- und Schotterstrassen die Tore von Medellin passieren. Das Casa liegt ausserhalb der Stadt, inmitten einer grünen Oase. Als wir die letzten steilen Meter hinter uns haben, empfängt uns Manuel mit einem Lächeln. Er heisst uns willkommen und zeigt uns das Haus. Schnell gehen wir am ersten Abend zu Bett – ohne nach dem Internet zu fragen. Erst am nächsten Morgen erfahren wir, was inzwischen in der Welt vorsich geht.
Das Virus zwingt immer mehr Staaten, die Grenzen zu schliessen. Obwohl in Kolumbien die Situation noch nicht solche Ausmasse angenommen hat wie in Europa, sind die Restriktionen heftig. Weil wir keine Energie haben und Flavio erkältet ist, gönnen wir uns erst eine Pause. Und nach wenigen Tagen wurde die Heimreise schon so kompliziert und ungewiss, dass wir uns entschliessen die Krise hier auszustehen. Wir teilen das Haus mit einem kanadischen Paar, welches in der selben Situation steckt. Wir hoffen, dass alle Bekannten und Verwandten wohl auf sind und denken an euch!