Wie die Zeit vergeht! Lange hofften wir, unsere Reise weiterführen zu können. Die Pandemie entwickelte sich jedoch immer heftiger. Auch Südamerika wurde trotz des frühen Lockdowns hart getroffen.
Schlussendlich verbrachten wir 2.5 Monate im Casa de Ciclista von Manuel und Martha und beobachteten die Situation aus der Ferne.
Die Tage vergingen wie im Fluge. Zusammen mit den Kanadiern Pascal und Thiphaine backten wir regelmässig Brote, Pizzas, unternahmen Wanderungen in den nahen Wäldern oder spielten Brändi-Dog,
welches Melanie in liebevoller Handarbeit erstellte :)
In einem Casa de Ciclista gibt es immer was zu tun...Sei es Wasser- und Stromanschlüsse reparieren oder Dachziegel neu verlegen damit der nächste Regen nicht mit Eimer in den Räumen aufgefangen werden muss. Auch unsere kleinen Mitbewohner wie die Mäuse oder Cucarachas (Küchenschaben) verlangten nach unserer Aufmerksamkeit.
In den interessanten Diskussionen mit Manuel, erfuhren wir viel über die Geschichte des Landes und deren Bevölkerung. Je mehr Aguardiente (Änisschnapps) floss, desto persönlicher wurden auch die Gespräche, was uns tief berührte.
In den 3.5 Monaten in denen wir Kolumbien bereisten, lernten wir einmal mehr die Gegensätze eines Südamerikanischen Landes kennen. Die vielen Eindrücke und Geschichten die wir erleben durften sind für uns kaum in Worte zu fassen. Vielleicht sind es einfach zu viele. Oder vielleicht erzählt sich die eine oder andere Geschichte einfach besser als wir sie schreiben können.
Bei einer längeren Wanderung in den lokalen Bergen, zeigt uns Manuel das letzte Versteck des wahrscheindlich berühmtesten Kolumbianers, Pablo Emilio Escobar Gaviria. Wir spürten die Emotionen, welche der einstige Drogenbaron noch Heute bei den Leuten auslöst. Als wir nach rund 10 Wochen noch immer nicht wussten wie und wann eine Weiterreise möglich sein würde, da keine Lockerung in Sicht war, liessen wir uns erneut auf die Liste der Rückkehrwilligen Schweizer setzen. Im Gegensatz zu vielen anderen Reisenden, hatten wir Glück. Nach nur wenigen Tagen meldete sich die Holländische Airline bei uns und schon am 3. Juni flogen wir nach Amsterdam.
Da wir beide Amsterdam schon kannten wussten wir, was uns erwarten würde. Jedoch wussten wir nicht, wie stark uns der Gegensatz zu südamerikanischen Städten beeindrucken würde. Vom Flughafen in
die Stadt pedalierend, fühlten wir uns wie in einem Museum. All die schönen, fertig gebauten, gepflegten Häuser. Kein Müll, keine Schlaglöcher und ja auch keine bellenden Hunde mehr. Wer hätte es
gedacht. Jetzt nach einem Monat zürück in Europa, vermissen wir die Viecher schon fast wieder.
Kulturschock im eigentlichen Sinne haben wir keinen gekriegt. Es sind jedoch immer wieder kleine Alltagssituationen oder Beobachtungen die uns ins Bewusstsein rufen: Wir sind wieder in Europa!
Auch Amsterdam zeigt sich von einer ungewohnten Seite. Die sonst völlig überfüllten Gassen sind leergefegt und die Strassenkaffees meist geschlossen.
Wir beschlossen, über Nordholland ans Wattenmeer zu fahren. Entlang der beinahe endlosen Dämme immer mit Sicht auf das Meer mit den Gezeiten. Die Dämme werden mit unzähligen Schafen beweidet (Die Hufe der Schafe machen das Gras dichter und schützen so den Deich), was ein sehr schönes Bild gibt. Die unzähligen Fahrradwege machen uns fast ein wenig Mühe bei der Navigation. Zu gross ist die Auswahl - was wir uns einfach nicht mehr gewohnt sind und wünschen uns heimlich eine Handyhalterung an den Lenker. Bereits nach 3 Tagen auf dem Velo passierten wir die scheinbare Grenze zu Deutschland. Kein Einreisestempel, keine Taschenkontrolle und auch keine Ping-Pong spielende Beamte. Irgendwie komisch. Melanies Wunsch, das Wattenmeer zu bewandern wurde vertagt. Sämtliche Inseln sind wegen Corona für Tagestouristen geschlossen. Ebenfalls merken wir beim Zelten, wie nördlich wir doch schon wieder sind. Die Sonne will nicht wirklich untergehen und die Tage sind sehr lang bzw. die Nächte sehr hell. Mele konnte sich nicht mehr in der sicheren Nacht wissen und hatte etwas Mühe, als die Sonne um 22.30 Uhr noch immer ins Gesicht schien.
Auf kleinsten Feld -und Wiesenwegen näherten wir uns langsam der Insel Rügen. Der Startpunkt der letzten Bikepacking-Route auf unserer Reise, bei welcher wir nur dem heruntergeladenen Track folgen können und nicht bei jeder Gabelung selbst entscheiden müssen, wo wir langfahren wollen. Das Corona-Virus scheint die Anwesenheit von Radreisenden und Motorhomer noch mehr zu verstärken als sonst. Wir sehen in einer Stunde mehr Fahrradfahrer als die letzten 18 Monate.
Rückspiegel wären nun wieder hilfreich. Ein Blick zurück um dann mit voller Kraft die nächsten 5 Radfahrer in der Kolone zu überholen. Kurz bevor man selbst von 5 E-Bikes überholt wird... Genau, E-Bikes. Wir stellen immer wieder fest, wie die anderen Radler unsere Velos begutachten und erhaschen einzelne Wortfetzen wie: "überladen, übertrieben, zu schwer...". Meist müssen wir einfach nur schmunzeln und zugeben "ja, für die Verhältnisse hier, sind wir überladen"!
Von Rügen bei Kap Ankora beginnt unser letzter Track Richtung Süden. Der Trans-Germania-Track, über die Mecklenburgische Seenplatte nach Berlin, entlang der polnisch-deutschen Grenze, der tschechisch-deutschen Grenze weiter bis München.
Obwohl sich der Track, wie erwartet teilweise schwer fahrbar und durch sehr einsame Gegenden schlängelte, genossen wir die Challenge nochmals. Oftmals waren die Waldwege total verwachsen und kaum zu erkennen, mit Brennesseln übersäht oder mit gefallenen Bäumen blockiert. Dafür wurden wir belohnt mit wundernschönen Schlafplätzen in mitten von grossen Wäldern.
Die Walderde war so weich, das selbst Mele mit ihrer defekten Matratze ohne Schmerzen schlafen konnte. Einzig die Tatsache, das in Deutschland zu jeder Zeit gejagt wird, verwirrte uns ab und zu. Wir hofften einfach, das wir nicht für Wildschweine gehalten würden.
Immer wieder nutzten wir auch die öffentlichen Rastplätze (gedeckte Tischgarnituren). Nach den vielen positiven Begegnungen fühlten wir uns immer sicherer und versteckten uns auch beim Wildcampen immer weniger.
Wir staunen, wieviele wunderbar schöne und spannende Begegnungen wir bereits machen konnten. Wie offenherzig, grosszügig und spontan "unsere Nachbarn" sind. Mit Dieter&Ulla in ihrem Garten Nächte durchzuphilosophieren, mit Flo den Hamburger Kiez zu erkunden, mit den Frührentnern Joachim und Ludwig in der Kneippe abzustürtzen oder mit Falk und Ralph Radreisegeschichten auszutauschen. Hatte Deutschland landschaftlich vielleicht weniger Höhepunkte zu bieten, so übertraff es in Gastfreundschaft viele der Andenländer. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass die Sprachbarriere nicht mehr ganz so extrem war. So erinneren wir uns, wie es die Südamerikanischen Radfahrer genossen haben, überall eingeladen zu werden und ein Schwatz zu halten.
Da wir zu früh in Dressden waren um mit Desirée und Sandra weiter zu fahren, beschlossen wir noch eine extra Runde in der Tschechei zu machen. Die Radwege überraschten uns total. Was in Deutschland zur Herausforderung wird, funktioniert im Land der Biere und Biertrinker ohne Mühe. Die Radwege sind alle super beschrieben, oftmals weg von Hauptsrassen und machten richtig Spass. So gefiel uns auch die Möglichkeit, alle paar Kilometer ein Bier trinken zu können. Ebenfalls nutzten wir die Zeit um in der sächsischen Schweiz einen Wandertag einzulegen. Uns gefiel der Mix von sehr einfachen zu technischen Wanderwegen zwischen den Wäldern und Kletterwänden sehr.
Von Dressden fuhren wir zu viert weiter. Gleich nach den ersten Kilometern riss die Kette von Desirée und als ob dies nicht genug gewesen wäre, stellten wir fest, dass ihre Felge gebrochen war.
Zum Glück sind in Deutschland die Radgeschäfte nicht mehr so spärrlich. So beschlossen wir, einfach weiter zu fahren bis es nicht mehr geht. Wer weiss, vielleicht hält das Rad heute noch... Im Fichtelgebirge über Stock und Stein fuhren wir bis Forch und dann Nürnberg, welche uns mit ihren alten Gemäuern und Plätzen sehr gefielen. Immer mal wieder mussten wir die Erbauungsdaten bestaunen und laut vor uns plappern: "oooh, präkolumbianisch...". Was in Südamerika meist für ein paar Steinmännchen oder einzelne, eher primitve Gebäude etc. galt, präsentierte sich hier in Form von prunkvollen Klostern, Schlösser, ja ganze Stadtteile. Wir hatten eine tolle Zeit zu viert und tatsächlich hielt die Felge von Desiree, dafür verabschiedete sich die Nabe von Sandra.
Die Strecke Nürnberg – München war nun eine Katzensprung, welchen wir wieder zu zweit zurücklegten. Die letzte Stadt unserer Reise und auch gleich der erste Wiedersehen-Ort mit Flavios Bruder, Flor. Und wenn schon Massenlager, dann richtig. So kam auch Lena (Mele's beste Freundin) gleich nach München und wir teilten uns den Fussboden zu dritt.
An dieser Stelle auch noch besten Dank Flo, für die tolle Zeit!
Hatten wir für die Einfahrt für München die Räder noch kurz einer Reinigung unterzogen, mussten wir lachen, als bei der Ausfahrt die Isar über die Ufer brach und die Radwege flutete. In Mitten der Stadt steckten unsere Schuhe im Schlamm und die Räder wurden blockiert, was für ein Spass!
Die Regenphase war jedoch von kurzer Dauer. So überraschte uns schon ein Tag darauf ein stahlblauer Sommertag. Nur die noch zum Teil überschwemmten Radwege erinnerten an die Regentage. Was für andere Radfahrer mühsam war, erfreute uns so richtig. Nochmals "action" nochmals ein klein wenig "challenge". Um genau diese "action" nochmals zu spüren, unsere Beine nochmals zu reaktivieren, beschlossen wir, über Österreich, bzw. Landeck in die Schweiz zu kommen. Entlang der Inn, das einfach wundervolle Engadin hoch. Kaum hatten wir unsere Musikhörer eingesteckt um in unserem Tempo die Rampen des Albula-Passes zu erklimmen, hatte ich noch meinen letzten Platten. Leider löste sich die Karkasse meines Hinterreifen und durch das Loch präsentierte sich der aufgeblähte Schlauch. Nicht zur Nachahmung weiter zu empfehlen, leimte Flavio den Schlauch fest und demontierte die Hinterradbremse um ein erneutes Aufscheuern zu vermeiden. Der Reifen hielt der Passfahrt stand und wir schafften es bis nach Filisur.
Nach Monaten endlich wiedermal kochen am offenen Feuer, was für Mele eher mühsam ist, genoss Flavio umso mehr.... Hatte es in Deutschland und der Tschechei überall Rastplätze, so waren die Feuerstellen leider sehr rar.
Von Filisur fuhren wir über das Rheintal Richtung Ilanz, Disentis, immer weiterhinauf. Nach Rund 114 Kilometern und rund 1800Hm hatten wir den Oberalpass erreicht. Waren wir bis zum Nachmittag noch voller Enthusiasmus dem Radweg gefolgt, so wichen wir gegen Abend auf die Passstrasse auf. Die letzten Meter mussten nochmals richtig erkämpft werden und beinahe mit dem Sonnenuntergang erreichten wir die Quelle des Rheins! Mit müden Beinen krochen wir auf dem 2044m Pass in unser Zeltchen. Eine der letzten Nächte. Am Tag darauf starteten wir mit der Abfahrt nach Andermatt. Der erste Coop-Besuch erfreute und schockierte zugleich. So toll die Käseauswahl war, so platt drückte der Kassenzettel auf unsere Reisekasse, welcome back Switzerland :)
Wir freuten uns auf den neuen Radwegabschnitt Andermatt-Göschnen. Dieser war jedoch nicht wirklich erwähnenswert und so donnerten wir weiter nach Wassen. Von Wassen entschieden wir uns, den wunderschönen Sustenpass mitzunehmen.
Wir spürten bald, dass auch schweizer Pässe Energie benötigen und schwere Beine verursachen. Jedoch fährt man einen Schweizerpass mit einem Reisevelo in vielleicht einem halben oder ganzen Tag...in Südamerika können es auch mal 5 Tage sein :)
Bei Käse und Brot bestaunen wir die Überbleibsel des Steingletschers. Die BernerViertausender...die Wendenstöcke. Die wundervolle Passstrasse mit allen Tunnels. In Meiringen machen wir nochmals unter einer Laderampe halt um das übliche Sommerberggewitter überziehen zu lassen. Nach einer Stunde mobilisieren wir unsere Beine nochmals um den Brünig hoch zu kurbeln. Der liebe Brünig. Eng, steil und voller Verkehr. Zum Glück sind wir nach gut einer Stunde auf dem Pass. Die letzte Abfahrt nach Giswil fahren wir mit den vielen Autos um die Medaille. Die letzten Tage seit München waren alle lange, mit vielen Höhenmetern gespickt und anstrengend. Anstrengend aber schön. So kammen wir ziemlich Müde und ausgemergelt in Giswil bei Francine (Flavios Mami) an, welche gerade 3 Kinder hütete.
Wunderschön war das Wiedersehen. Die kleinen konnten kaum glauben das wir eine Küche und ein Zelt dabei haben. So präsentierten wir gerne unseren treuen Benzinkocher und zauberten nochmals, das letzte Mal, Spaghetti!
Von Giswil fuhren wir nach Kriens um mit leichtem Gepäck gleich weiter zu fahren.
Der Wiedersehensmarathon startete bei Fabienne und Raphi mit Aramea und Samira, wo wir herzlich willkommen geheissen wurden. Natürlich mit dem Rad, fuhren wir von Luzern nach Schötz um auch Melanie's Familie endlich wieder zu sehen! Nach und nach sehen wir unsere Freunde wieder und finden zurück in unser altes, neues, geregeltes Leben.
Liebe Strassen, wir werden zurückkommen. Nicht Heute und nicht Morgen, aber irgendwann...
Inzwischen sind wir gute 3 Wochen zu Hause und staunen wie schnell doch alles ging. Wir waren zirka 22 Monate weg, fuhren in 11 Ländern über 23'700 Kilometer und x-hunderttausend Höhenmeter. Wir durften ein Teil unserer Welt entdecken und aus unserer Oase "Schweiz" aus-brechen. Unser Alltag war meist mit Zeltabbauen, Radfahren und Zeltaufbauen gefüllt und doch war der Tag meist efüllend. Kaum in der Schweiz, krallt uns "das System" wieder. Die Agendas werden mit Terminen gefüllt und der Keller unserer neuen Wohnung mit unnützen Dingen. Daneben ganz klein und unauffällig; vier Taschen in grau und schwarz. Bereit ihrgend wann wieder auf Reise zu gehen.